In wenigen Tagen, am 27. Januar 2009, beginnt das Weltsozialforums in Belém. Die Auswahl des Ortes markiert schon einen programmatischen Schwerpunkt des Forums 2009. Wie kaum eine Region der Welt steht das Amazonasgebiet für die sozio-ökologischen Konfliktlinien der Gegenwart: Ein Lebensraum indigener und traditioneller Völker wird durch Großprojekte und exportorientierte Landwirtschaft bedroht. Gleichzeitig erlangt das größte Regenwaldgebiet der Welt auch eine exponierte Stellung im Kampf gegen den Klimawandel. Viele Schnittlinien aktueller Diskussionen treffen sich am Amazonas.
Für Belém ist die Organisation des Forums eine große Chance und eine schwer lösbare Herausforderung zugleich. Den Ruf, die Amazonasmetropole zu sein, hat immer die Stadt Manaus beansprucht – und in der internationalen Wahrnehmung ist es Manaus, das mit dem Amazonasmythos verknüpft ist. Jeder kennt das Opernhaus, die Erzählungen vom Kautschukboom, die Bilder der Filme Herzogs. Belém und Manaus sind mit rund 1,5 Millionen Einwohner etwa gleich groß, aber Belém blieb immer im Schatten des Mythos Manaus. Das Forum ist nun die große Chance für Belém, diese historische Schmach zu überwinden.
Belém lebt mit dem Fluss und dem Wasser
Aber erstmal müssen die Belém-Besucher eine Enttäuschung überwinden: Die großen Wassermassen, auf die sie schauen, sind nicht der Amazonas, sondern nur die vergleichsweise kleinen Flüsse Guama und Gurajá. Dennoch, Belém ist eine interessante und vielseitige Stadt im Amazonasdelta, die mit dem Fluss und dem Wasser lebt. Ein Teil des Hafens ist zu einer hübschen Freizeitzone ausgebaut, die Altstadt hat viele Gebäude der bewegten, fast 400-jährigen Geschichte der Stadt bewahrt und das Teatro da Paz ist ein kaum weniger beeindruckendes Zeugnis der „Goldenen Zeit“ als das Opernhaus von Manaus.
Belém ist die Hauptstadt von Pará, dem bevölkerungsreichsten Amazonasstaat. Die Stadt beherbergt die größte Universität Amazoniens, das renommierte interdisziplinäre Institut für Amazonasstudien NAEA, die regionale Entwicklungsbehörde SUDAM und ist Sitz der Landesregierung von Pará. Belém ist damit das intellektuelle und administrative Zentrum Amazoniens. Dennoch ist die Stadt klein für die etwa 100 000 erwarteten TeilnehmerInnen des Forums. Die knapp 5000 Hotelbetten sind seit Langem ausgebucht, viele TeilnehmerInnen (etwa 35 000) werden in Schulen, auf Schiffen sowie Campingplätzen untergebracht, teilweise außerhalb der Stadt. Die Familien Beléms öffnen ihre Wohnungen für private Unterkünfte. Die Veranstalter hoffen, dass etwa 25 000 Menschen auf diese Weise unterkommen werden.
TeilnehmerInnen aus allen Gegenden und Winkeln Amazoniens
Die letzten Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, viele vorgesehene Verbesserungen der Infrastruktur sind nicht fertig, anderes wird wohl auf den letzten Drücker improvisiert. Die TeilnehmerInnen müssen sich auf organisatorische Probleme vorbereiten, aber das gehört zum Forum und wird sicherlich durch die Freundlichkeit der paraensischen Gastgeber kompensiert.
Trotz aller einzelnen Probleme, die lokalen Organisationen sind optimistisch. „Die Mobilisierung in Amazonien läuft sehr gut. Wir werden viele TeilnehmerInnen aus allen Gegenden und Winkeln Amazoniens haben. Für sie ist das Forum eine riesige Gelegenheit, ihre Anliegen sichtbar zu machen und sich mit der Welt zu treffen“, betont Graça Costa, die im lokalen Vorbereitungskomitee mitarbeitet. Der erste Tag des Forums wird ganz den Diskussionen um Amazonien gewidmet sein.
Wie bei allen Foren sind zahlreiche selbstorganisierte Veranstaltungen angemeldet und im Internet einsehbar. Das Spektrum ist sehr breit und folgt dem Motto „Wie es Euch gefällt“. Dennoch lassen sich einige Linien festmachen, die das Weltsozialforum 2009 (WSF) wahrscheinlich markieren werden:
- Das Forum beginnt mitten in einer dramatischen Zuspitzung des Israel-Palästina-Konflikts. Nach Hugo Chávez hat auch Evo Morales die diplomatischen Beziehungen zu Israel abgebrochen. Der einflussreiche außenpolitische Berater Lulas, Marco Aurelio Garcia, hat Israel des Staatsterrorismus beschuldigt. In der lateinamerikanischen Linken wird fast ausschließlich Israel die Schuld zugeschrieben. Kritische Stimmen zur Rolle der Hamas sind kaum zu hören. Dies bereitet den Boden für eine undifferenzierte und falsche „antiimperialistische“ Sichtweise des Nahostkonflikts. Es steht zu befürchten, dass diese Sichtweise differenzierte Diskussionen im Rahmen des Forums unmöglich macht.
- Die internationale Finanzkrise hat die Diskussion um die Zukunft des Kapitalismus wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Damit hat der ursprüngliche Impetus des Forums, Alternativen zum „Neoliberalismus“ zu diskutieren und zu entwickeln, neue Aktualität erlangt. Dies wird sicherlich einer der wichtigsten Themenstränge des Forums sein.
Starke Präsenz der staatlichen Linken
Das WSF 2009 wird durch eine starke Präsenz der staatlichen Linken Lateinamerikas geprägt sein. Morales, Chávez, Correa und Lula haben ihre Teilnahme zugesagt. Sie werden die Starredner und Hauptattraktionen der Großveranstaltungen sein. Hinzu kommt die starke Präsenz der Regierung des Bundesstaates Pará unter der Gouverneurin Ana Júlia Carepa, die zum linken Flügel der PT zählt. Im WSF kommt es also zu einer hoffentlich spannenden Konfrontation zwischen den Kräften, die sich den linken Staatsprojekten zuordnen und Gruppen der Zivilgesellschaft, die auf Autonomie bedacht sind und durchaus kritische Positionen auch gegenüber den linken Regierungen vertreten.
Und nicht zuletzt wird das Forum durch die kulturelle Diversität Lateinamerikas geprägt werden. Es wird kein Forum von Bleichgesichtern und Zivilgesellschaftsfunktionären werden, sondern ein Forum indigener Völker, schwarzer Communities (Quilombolas), von Fischern, Frauengruppen und, und, und. Allein dieser Aspekt macht das Forum zu einer lohnenswerten Veranstaltung.
Die Heinrich-Böll-Stiftung auf dem Weltsozialforum
Neben der Unterstützung von Partnerorganisationen beteiligt sich die Heinrich-Böll-Stiftung auf dem Weltsozialforum mit vier eigenen Veranstaltungen zu den Themenkomplexen Nuklearenergie, Biopolitik, Commons sowie Wald und Klima.
Veranstaltungsangebot der Stiftung
I. Die Nuklearisierung Lateinamerikas – Rückkehr eines alten Gespenstes?Eine mächtige Lobby setzt sich in Lateinamerika dafür ein, massiv in den nuklearen Sektor zu investieren. Viele Länder, darunter auch Brasilien, verkünden neue Nuklearprogramme und den Bau neuer Kernkraftwerke. Diese Tendenz ist auch in anderen Ländern des Südens zu beobachten, beispielsweise in Südafrika oder Indien. Die Rückkehr zur Atomenergie beinhaltet verschiedene Aspekte und berücksichtigt die Interessen unterschiedlicher Gruppen: die der Lobby, welche Atomenergie als sauber und als gute Alternative gegen den Klimawandel verkauft, sowie die einiger Regierungen, welche mit dem Export von Uran wirtschaftliche Gewinne erstreben. Auch geopolitische Gesichtspunkte spielen bei der drohenden Nuklearisierung Lateinamerikas eine Rolle.
Wann? 29.01.2009 von 8.30 Uhr bis 11.30 Uhr
Wo? UFPA Profissional. Pavilhão AP, Sala AP 12
ReferentInnen:
Pablo Bertinat (Cone Sul Sustentável), Sergio Dialetachi (Heinrich-Böll-Stiftung), Odesson Alves (Associação das Vítimas do Césio-137), Zoraide Vilas Boas (Movimento Paulo Jackson), Ricardo Baitelo (Greenpeace) und Sapê
Partner:
Greenpeace
II. Geschäft des Lebens: die Privatisierung von Lebewesen und das Monopol auf Wissen. Was steht auf dem Spiel?
Neue Technologien erobern zusehends neue Territorien. Pflanzen, Zellen, Zellstrukturen, Gene und sogar Lebewesen werden zur Handelsware und patentierbar. Derselbe Prozess erfasst auch das Feld des Wissens (Patentierung von Software, Ausbau des Copyrights). Diese Politik der Privatisierung des Lebens und des Wissens wird von vielen NGOs und sozialen Bewegungen kritisiert: Bauernbewegungen gegen Patente auf Samen und Pflanzen, Frauengruppen gegen die Kommerzialisierung des weiblichen Körpers, Free-Software-Gruppen gegen Wissensmonopole. Die Veranstaltung will den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren fördern, die sich mit diesem Komplex, den wir als „Biopolitik“ bezeichnen, beschäftigen.
Wann? 29.01.2009 von 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr
Wo? UFPA Profissional. Pavilhão AP, Sala AP12
ReferentInnen: Ulrich Brand (Universität Wien / Attac), Jean-Pierre Leroy (Fase), Federico Heinz (Stiftung Via Libre), Silke Helfrich (freie Publizistin)
III. Einhegung von Gemeingütern
Unter "enclosure of the commons" („Einhegung der Gemeingüter“) wird ein zyklischer Prozess verstanden, der in den letzten Jahren an Kraft gewonnen hat. Dieser Prozess geht von der Privatisierung von Land bis zur Inbesitznahme von immateriellen Gütern (intellektuelles Eigentum) und umfasst sogar die private Aneignung von genetischen Codes. In dem Maβ, wie die natürlichen, sozialen und kulturellen Ressourcen, welche unseren kollektiven Besitz (commons) bilden, sich in wirtschaftlich interessante Güter verwandeln, wächst auch der Markt für solche Gemeingüter. Auf diese Weise gelangt die wichtigste Quelle unseres Überlebens in Gefahr.
Auf dieser Veranstaltung findet die Vorstellung der neuen Publikation „Genes, bytes y emisiones – Bienes comunes y ciudadanía“ („Gene, Bytes und Emissionen: Gemeingüter und Staatsbürgerschaft“) statt, welche von dem Büro Mittelamerika/Mexiko/Karibik der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt wurde.
Wann? 30.01.2009 von 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr
Wo? UFPA Básico. Pavilhão PB, sala P1
ReferentInnen: Marina Ortega (Generations Ahead), Jean-Pierre Leroy (Fase), Beatriz Busaniche (Stiftung Via Libre), Paulo Martins (Renanossoma), Ulrich Brand (Universität Wien / Attac), Maria Bethânia Ávila (SOS Corpo)
IV. REDD – Verringerung von Kahlschlag und Emissionen oder Entwaldungsprämie?
Die Idee hinter REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) ist, Wäldern (bzw. dem in ihnen gespeicherten Kohlenstoff) einen wirtschaftlichen Wert beizumessen. REDD sieht einen finanziellen Ausgleich für die Besitzer von Wäldern vor. So könnte es zu einer Variante eines CDM-Marktes werden, welcher jede Form der Kohlenstoffsequestrierung verhandelt - inklusive der aus Monokulturen (beispielsweise Eukalyptus). Die Kritiker dieses Marktes bemerken indessen die Perversität des Mechanismus, denn es werden Prämien an denjenigen vergeben, der seine Entwaldungsrate verringern kann und damit die Emission an Treibhausgasen reduziert. Einige Kritiker sehen in REDD somit eine Art Entwaldungsprämie. Andere Kritikpunkte richten sich gegen die fehlende Einbeziehung von Repräsentanten indigener Völker bei der Ausarbeitung des Mechanismus.
Wann? 28.01.2008 (Panamazonischer Tag), nachmittags
Wo? UFPA Básico, Pavilhão ICB Anexo, Sala PATO 2.
ReferentInnen: Elmar Altvater (Freie Universität Berlin), Camila Moreno (Terra de Direitos), Thomas Fatheuer (Heinrich-Böll-Stiftung)